Freitag, 1. März 2019

Lustspielhaus (Exkurs)

Samsa kroch auf seinen dünnen, viel zu dünnen, viel zu vielen Beinen aus einem der Lüftungsschächte des Saals, ihm folgten aus all den anderen plastikverkleidungsbewährten Deckenschlünden ähnliche Kreaturen, emsig krabbelnd, große dicke Käferkörper, gegliederte dünne Käferbeine, sie trugen Schilder um ihre absurden winzigen, entfernt an Babyköpfe erinnernden Häupter, "Kafka ist sauer!", "Verrat an dem Willen", "Weiberfasching mal anders", sie konnten kopfüber an der Decke hängend, den anwesenden Damen und Herren, die so wunderbar gewöhnlich an ihren Tischen hockten und zur Bühne starrten, der Musik lauschten, den Texten geisttot folgten, den Texten die doch so borniert und zynisch erschienen, setzte man sie in den Kontext zum Kommerz dessen Geschmack sie zu treffen suchten.
Keiner ahnte etwas, ja, es schien ich war der einzige der Samsa und all die anderen Lebewesen zur Kenntnis nahm. Sie trugen keine Namensschilder, keine Kennzeichen, es waren also keine Käferpolizisten, Samsa erkannte ich, da er das Bild mit der Dame in Pelzboa und Pelzmuff statt der Protestschilder umhängen hatte.
Mir war, als würde ich im Publikum die Familie Samsa erspähen, auch die Bedienerin mit einigen Bekannten, im Faschingskostüm, grell geschminkt und Tirolerhüte auf den runden Köpfen. Ahnungslos alle, alle wie sie da lusten und gafften, wippten und ab und an, an ihren Gläsern nippten.

Der Sänger der Unterhaltungstruppe gleitete gerade im Landeanflug des laufen Stücks in Richtung Applauspiste, die Musikanten legten sich für die Schlussakkorde und Melodien richtig ins Zeug, traaraaaaaaa - und sehr kurz Stille - nein, man konnte das Krabbeln hören, hörte wohl jeder, nur, die Anwesenden warteten auf die ersten mutigen Applaudeurinnen, ja, jetzt, Krabbeln und der Applaus setzte ein, undefinierbare Laute, wohl Freudengetön und stolze Lautlustpfeifferinnen, ich blickte zur Decke, dort herrschte wohl Fassungslosigkeit, ob der kollektiven Aufmerksamkeitsverweigerung, ich fragte mich insgeheim ob das Objekt in mir dort oben mit zugegen war, ich also irgendwie mit im Bunde sei, externalisiert.

Es nahm seinen Lauf. Die Band hieß Dreiviertelblut, spielte gut, nur eben, war im Grunde tot, längst gestorben, Leichen auf der Bühne, Leichen im Publikum, eine Leichenveranstaltung.
Der Name Elser viel, der wackere Bursche, wie viele erbärmliche Artgenossen sich doch über dessen Asche einen abgewichst haben, Niemöller das klerikale, widerliche Nacktäffchen, hat ihn als einen Schergen der Nazis denunziert, damit er selber noch strahlender als "Wiederstandspfaffe" einen Lichtschein Aufmerksamkeit abbekommt, (oh wie ich die Pfaffen hasse!!!!) das ganze kackbraune Nachkriegsestablishment ließ diese Version auf kleiner Flamme immer weiter köcheln, bis es nicht mehr haltbar war, da die Fakten schlicht erdrückend, die Tatsache ein einzelner Mensch hatte Mut und leider auch eine Prise Dämlichkeit in sich, es sind die Umstände seiner Festnahme, die mich hier so garstig sein lassen, unumstößlich.
Jetzt hier im Unterhaltungssaal kiffte man ihn durch die Synapsen, als morbides Feel-Good-Goodie, ja, wir sind doch alle Antifaschisten und wären sicher im Widerstand, sobald es ernst wird.

Just als Horn begann seinen fiktiven Brief vorzutragen, vielen die Demonstranten von der Decke, pulverisierten sich, bevor sie kompakt aufschlagen konnten, das Publikum nahm sie als einen originellen Konfettiregen hin.
Niemand ahnte von der Kontaminierung, die dem ein oder anderen Wesen im Saal, über Nacht, eine Verwandlung bescheren würde, irgendwann, vielleicht schon in dieser Nacht, vielleicht aber auch erst, wenn das Herz sein Verfalldatum erreicht hat, irgendwie würde man, so oder so, noch mit Krabbeltieren in Berührung kommen.

Das Objekt war längst geflohen, hatte sich in das Bild geflohen, hatte dieses Wort "Bedienerin" aufgesogen, sich eingepackt in eine ganz besondere Verwandlung, es wäre kein Besen gewesen, sondern ein ganz und gar anderes Instrumentarium, welches die dominante, bestimmende, Dame für Ihn vorgehalten hätte - ja wäre, wäre nicht auch das Ich gewesen, dass so ganz und gar Spielverderber ward, sich gerade so verkneifen konnte, das erlebte der Aufseherin zu erzählen, sondern nur auf die Frage - was den sei, antwortete: "Ich habe solchen Hunger....."

Auf der Fahrt zurück von München in die niederbayerische Provinz begann es zu regnen, ein stetiger Dunkelnachtregen, es war eine Fahrt durch pechschwarze Tunnel der Müdigkeit, in denen die Lichterpaare des andauernden Verkehrs, ja, wir waren ja auch Verkehr, die Betonwände der unterirdischen Röhre vertraten.

Das Publikum war sehr zufrieden, die Musikanten waren zufrieden, die Aufseherin war zufrieden, es gab vielleicht nicht nur einen Spielverderber, die Spielverderber sollten auch das Maul halten, sie sind schlicht nur eine lästige Störung.

Jeder könnte wieder mal Kafka´s kurzes Stück "die Verwandlung" lesen, obschon doch der Franz es gar nicht unter die Leut bringen wollte, sonst ist der obige Text wohl ganz und gar der Sibylle gleich, nur eines, rätselhaft.


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